Hart aber fair“: „Schweine züchten ist steuerlich sinnvoller als Kinder aufzuziehen

Der Oberste Gerichtshof in Athen hat Ermittlungen zu einer möglichen Veruntreuung von EU-Flüchtlingsgeldern angeordnet.
Alles beginnt, klar, mit dreckigen Schulklos. Laut Frank Plasberg das Symbol für die Zerbröselung von öffentlichen Gebäuden.
„Es gibt Ecken in diesem Land, die kann man Besuchern kaum zeigen oder erklären. Da kommt Schamgefühl auf“, sagt er. Und ein bisschen Schamgefühl kommt ja auch gleich zu Anfang der Sendung auf, für die Themensetzung der „Hart aber Fair“-Redaktion. Willkommen zum Gassenhauer und Dauergähner aller Gesprächsrunden: Steuern.

Ob einfach alle wirklich aktuellen Ereignisse schon von den anderen Talkshows besetzt wurden, oder Plasberg selbst kürzlich erst seine Einnahmen in Richtung Finanzamt kommuniziert hat, weil er wie viele andere Bundesbürger die Frist verpennt hat: Man weiß es nicht. „Der Staat schwimmt im Geld - aber warum haben die Bürger so wenig davon?“ jedenfalls polemisierten Plasberg und seine Gäste am Montagabend in Richtung Fiskus. Und man ahnt: Eine Antwort darauf müsste einen Allgemeingültigkeitsanspruch haben, der in einem Land, in dem Minijobber wie Immobilienhaie (zumindest auf ein paar Kilometer Luftlinie Entfernung) zusammenleben, kaum erreicht werden kann.

Plasberg versuchte es mit vier Unterfragen: Warum sehen Schulklos, Brücken und Polizeiwachen so miserabel aus? Warum haben gerade die Reichen die Tricks, um Steuern zu sparen? Wann, wenn nicht jetzt, werden die Bürger entlastet? Und warum gibt der Staat so viel Geld für unsinnige Projekte aus?

Zu viel, um über alles richtig zusprechen. Am Ende wurde es eine Sendung wie eine verfilmte Steuererklärung: Irgendwie betrifft es jeden, aber so richtig verstehen, was nun eigentlich gemacht werden muss, kapieren wohl die wenigsten.

„Jetzt gibt es keine Ausreden mehr“, findet Carsten Linnemann
Erste Enttäuschung: Kein Kevin Kühnert, kein Gregor Gysi, kein Carsten Lindner. Der plasbergsche Halbkreis bestand an diesem Abend nur aus der B-Mannschaft der Talkshow-Sitzbeleger. Zumindest, was das Charisma betrifft.

Carsten Linnemann war da noch der aufgeregteste, allerdings mit einer großen Silbe Hektik und einer kleinen Atempause Selbstüberschätzung in den Worten. „Ich kann nicht alles auf einmal anpacken“, sagt der Mann, der Vorsitzender des CDU-Mittelstandvereins und immerhin stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag ist. Linnemann erzählt von seiner Taxifahrt ins Studio und von dem Fahrer, der ihn zur Steuerentlastung gefragt habe: „Die Energiewende, die Eurokrise, die Flüchtlingskrise - was ist die nächste Ausrede?“

Linneman HAF© Dirk Borm Linneman HAF
Ob die Geschichte nun ausgedacht ist oder nicht - das ist so egal wie Plasbergs ständige Versuche, doch noch einen guten Gag aus Linnemanns stieren Kampfansagen gegen den Soli und die deutsche Knauserpolitik rauszuholen. „Jetzt gibt es keine Ausreden mehr!“, floskelt der 41-jährige Politiker und weist mit dem imaginären Zeigefinger erst Richtung Griechenland und Italien, dann auf den Leitzins der Europäischen Zentralbank (Überraschung: immer noch bei Null!) und folgert: Deutschland darf sich nicht kaputt-sparschweinen.

„Wenn nicht jetzt, wann dann?“, fragt Linnemann und man hofft, dass die Höhner hinter dem Screen hervorspringen und wenigstens ein bisschen Hintergrundmusik liefern, der Originalität wegen – aber es bleibt nur Linnemann. Der leider neben sehr wahlkampfigen Phrasen („Von mir wird es keine Kompromisse geben!“) doch nur wieder zum Schluss kommt, den Grundfreibetrag anzuheben. Linnemann glaubt: „Die Leute denken: Wenn der Staat das Geld hat, ist es weg.“

„Die Schwarze Null ist ein neuer Fetisch“
„Sie sind doch Mitglied der Regierungspartei?“, fragt ihn deswegen folgerichtig die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch. Linnemann antwortet, er verstehe sich im Parlament eher als Kontrolleur der Regierung. Ob das die allgemeine Auffassung unter den CDU-Abgeordneten ist, wird nicht geklärt. Schade. 

Lesen Sie mehr auf MSN:

Bund will mehr Geld für Geflüchtete ausgeben

Stattdessen sagt Lötzsch aber einen anderen schönen Satz, der wenigstens mal ein bisschen mit der Finanzministerium-Pressekonferenz-Rhetorik der restlichen Sendung bricht: „Die Schwarze Null ist ein neuer Fetisch.“

Stimmt, nämlich der von Wolfgang Schäuble, Ex-Finanzminister. Und den teilt er sich mit Tatsächlich-Finanzminister Olaf Scholz. Den nennt Plasberg zwischendurch mal „Dagobert Duck“. Es folgt ein kurzer Exkurs in die Zahlen: Deutschland nimmt immer mehr Steuern ein (im August waren es 49,87 Milliarden, ein Plus von 4,1 Prozent im vergleich zum Vorjahr), die Inventionen sinken allerdings.

„Das liegt an einem Verantwortungs-Wirrwarr“, sagt Lötzsch, „Bund, Länder und Kommunen müssen besser zusammenarbeiten. Deswegen ist zum Beispiel das Kooperationsverbot bei Bildung absurd.“ Würde der Bund einen Sack Geld vor die Tür stellen, um die Schulen zu sanieren, dürften die Kommunen das nicht ausgeben, weil Bildung Ländersache ist, merkt Plasberg sehr richtig an. Wirrwarr eben. Lötzsch fordert außerdem, klar, auch noch eine höhere Besteuerung von Reichen.

Als ihr Linnemann erzählen will, dass nur die Großkonzerne die Bösen seien und man mal lieber „die 80 Prozent in den Vordergrund stellen sollte, die den Karren ziehen und zu langweilig für die Sendung hier sind“, sagt Lötzsch: „Tun Sie nicht so, als seien Sie mit der CDU die Vertretung der kleinen Leute.“ Dabei berlinert sie. Vielleicht der unterhaltsamste, mindestens aber der schönste Moment der Sendung. Irgendwann verliert sich Lötzsch allerdings in einer Nebendiskussion - von denen es in der Sendung unzählbar viele gibt - über den Solidaritätszuschlag. Ihr Fazit: Nicht abschaffen. Alle anderen sehen das anders.

Warum dreckige Schulklos eines reichen Industrielandes unwürdig sind

Becker HAF© Dirk Borm Becker HAF
Seit Jahren schon kämpft Reina Becker für mehr Steuergerechtigkeit. Sie ist Steuerberaterin und alleinerziehende Mutter und sagt: „Steuerlich gesehen ist es sinnvoller, Schweine aufzuziehen als Kinder.“ Denn die Ausgaben für Futter, Medikamente und Stall kann man vor dem Finanzamt geltend machen, für Kinder geht vergleichbares nicht. „Die Politiker sind vielleicht nicht qualifiziert genug, die richtigen Entscheidungen zu treffen“, sagt sie. Besonders das Ehegattensplitting, „ein Relikt aus den 50ern“, hält sie für Unsinn, wünscht sich eine bessere Entlastung für Familien und besonders Alleinerziehende.

Nachdem ihr Mann starb, stellte Becker eine makabere Rechnung auf: Sie schaute, wie sich ihre Steuern verändern würden, wenn stattdessen eines ihrer Kinder umgekommen wäre. „Ich hätte 7000 Euro im Vergleich zu jetzt gespart“, sagt sie.

Norbert Walter-Borjans, Ex-NRW-Finanzminister, findet: Dreckige Schulklos sind eines reichen Industrielandes unwürdig. „Das Plus ist nicht überall gleich“, sagt der SPD-Mann, „Reiche Gemeinden haben einen Überschuss, da sind auch die Schulklos in Ordnung. Arme Kommunen hingegen haben durch Überschuldung kein Geld, Schulklos zu sanieren.“

„Was haben sie die letzten sieben Jahre denn gemacht?“, fragt Plasberg Walter-Borjans und der erzählt von seinem Programm „Gute Schule 2020“, eine Förderung über zwei Milliarden für Bildungseinrichtungen des Landes, die allerdings, das gibt Walter-Borjans zu, viele Kommunen nicht abrufen können, weil sie das Personal nicht haben, Bauanträge rechtzeitig umzusetzen.

Walter-Borjans HAF© Dirk Borm Walter-Borjans HAF
Dann wird über sein viel wichtigeres Projekt gesprochen: Den Kauf der elf Steuer-CDs im Jahr 2012 für 19 Millionen Euro, durch deren Auswertung – und auch weil sich viele Steuersünder aus Angst selbst anzeigten – der Bund und die Länder immerhin sieben Milliarden eingenommen haben. An den 19 Millionen, das betont Walter-Borjans, hätten alle Länder mitgezahlt. „Sogar der Söder.“ Damit schindet er immerhin beim Publikum ein bisschen Eindruck.

Blumenstrauß als Steuerhinterziehung
Und dann ist da auch noch Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Deutschen Steuerzahler. Tja. Hm. Es fällt schwer herauszufinden, auf welcher Seite Holznagel steht, vor allem, weil er wenig sagt und sowieso alle auf allen Seiten stehen. Holznagel ist zumindest meistens gegen Walter-Borjans. Er kritisiert ihn für den Schritt, die Steuer-CDs gekauft und das eingenommene Geld nicht in den Ausbau der deutschen Steuerfahndung gesteckt zu haben.    

Danke berliner-zeitung

கருத்துகள் இல்லை

Blogger இயக்குவது.